The Clash haben es mit „Londons burning“ vorgemacht und – wie könnte es anders sein bei einer derart einflussreichen Band – viele haben die Gitarre in die Hand genommen und es ihnen gleich getan. Seit Jahren fabuliere ich davon jene Songs, die von dem Niederbrennen der eigenen Heimatdörfchen handeln, zusammen zu stellen. EA80 mit „Gladbach soll brennen“, Asta Kask mit „Ringhals brinner“, Velikije Luki mit „Tallin pöleb“ Pankrti „Lubljana je bulana“ und schließlich Stress mit „Athens burning“.
Nun haben tatsächlich ein paar wildgewordene Chaoten die griechische Hauptstadt in Brand gesteckt und dann auch noch gleich einen riesenhaften Weihnachtsbaum in ein lichterlohes Flammenmeer verwandelt. Aus Protest gegen den Tod eines 15-jährigen, den auf ungeklärte Weise ein Projektil aus einer Polizeipistole getroffen hat. Komisch, dass die Umstände eines Todes immer dann besonders mysteriös und kaum nachzuvollziehen sind, wenn es ein Staatshüter war, der die Waffe bediente.
Ob Kurzschluss, eiskalter Mord oder doch der viel beschworene Querschläger – der Junge ist tot und Griechenland steht ähnlich Kopf, wie es noch vor einiger Zeit Paris stand. Obwohl ich hier aus Übersee bestimmt nicht den besten Blick auf das europäische Zeitgeschehen habe, kann man sich mittels Deutscher Welle und dem Internet doch einigermaßen gut informieren und vor allem Kommentare, Stellungnahmen und Einschätzungen vernehmen, die nun aus allen Ecken wuchern. Es erhebt sich einmal mehr der bestürzte und betroffe Chor der aus der Lethargie aufgeschreckten Publizisten, Journalisten, Soziologen und Politiker, die gar nicht fassen können, welche unzivilisatorischen, ja geradezu barbarischen Bilder sie ausgerechnet aus der Wiege der Demokratie zu Gesicht bekommen.
Die Erklärungsversuche muten klassisch an und belegen einmal mehr, wie wenig gerade die etablierten Großmäuler, die ihre Positionen durch akribisches Büffeln von demokratischem Wertekonsens erlangt haben, von realitätsbezogenem Analysieren verstehen. Es wirkt doch vielmehr wie ein Beissreflex, wenn zunächst die Krawall schlagenden Autonomen, danach die hohe Jugendarbeitslosigkeit und schließlich das Versagen der aktuellen Regierung angeprangert wird. In dieser unglücklichen Verkettung fehlen ja eigentlich nur noch die Ballerspiele, welche man für die Gewalt verantwortlichen machen kann. Klingt doch alles genauso verstaubt und langweilig, wie die ewig gleichen Fernsehfressen, die sich jetzt wieder altklug zu Wort melden.
Das ist genau die Art von Denken, welche nicht über die pädagogischen Rezepte, Jugendliche mittels Vereinen, Sport, Parteien oder meinetwegen auch Musik an die Gesellschaft anzubinden, hinauskommt. Ganz tolle Beschwichtigungsmaßnahmen, die auf mich ungefähr so problemlösend erscheinen, wie verschissenen Steuersenkungen und Konsumgutscheine, welche die Unterklasse bei Laune halten sollen.
Bevor hier noch irgend jemand unangenehme Fragen stellt, wird in den bürgerlichen Medien immer wieder gepredigt, dass sich hier der Unwille gegen die bestehende Regierung richte und dass die Gesellschaft eine Bildungsreform fordere. Denn schließlich habe die Jugend schreckliche Angst davor nicht so ein nettes Leben wie die eigenen Eltern führen zu können.
Diese Analysen halte ich für genauso falsch, wie selbstgefällig. Selbstverständlich schließen sich nun auch Gewerkschaften, Verbände und gar Parteien dem Protest an, um ihre Forderungen in einer Situation der Regierungsschwäche durchboxen zu können, doch letztlich rührt die Wut, der Hass und die Gewalt doch wo anders her. Scheinbar niemand scheint aufzufallen, dass der Radau in Griechenland ziemlich zeitgleich mit der schwersten Finanzkrise seit anno Tobak zusammen fällt und dass der Black Block hauptsächlich Statussymbole des Kapitalismus angeht. Dass lässt sich ja zum Beispiel auch an den ganzen Transparten mit deutlichen „Anti-Capitalista“ Schriftzügen ablesen, die immer wieder im Fernsehen gezeigt werden. Dass es eben nicht um den bloßen Protest gegen eine beliebige Regierung, sondern gegen das System als solches geht, wird geflissentlich ignoriert, schließlich weiß doch einjeder, dass Demokratie und Marktwirtschaft ausschließlich Friede, Freude und Eierkuchen hervorbringen!
Dabei liegt doch auf der Hand, dass die maßlose Frustration und vor allem die Gewaltbereitschaft aus den unmittelbaren Erfahrungen mit einem globalisierten System des Kapitalismus resultiert, aus welchem man sich höchsten entziehen kann, wenn man in Nordkorea als Sklave anheuert (und akzeptiert wird). Ansonsten hält ein Leben im Kapitalismus nicht viel mehr bereit als eine Existenz, welche die großartige Band Finisterre mit dem Sätzchen „NUR NOCH FUNKTIONIEREN“, umschreibt. Und genau dieses Funktionieren ist der Zustand der – wenn man ihn sich bewusst vor Augen führt, was vor allem dann geschieht, wenn man arbeitslos rumhängt – welcher als unerträglicher empfunden wird. Da kommen einem Jobperspektiven und ein wohlstandsgesichertes Leben, welche nun von all den klugen Köpfen gefordert werden, wie der blanke Hohn vor, denn schließlich ist dies genau die Art von artigem Leben, die so perspektivlos und so selbstzerstörerisch wirkt. Und Bildung... also Bitte, wie viel Bildung denn noch? Sollen denn noch mehr Menschen lernen und begreifen, dass die eigene Lage in einem kapitalistischen System immer hoffnungslos ist und bleiben wird.
Genau diese Gewissheit, diese am eigenen Leibe exerzierte Ohnmacht, die tagtäglich vor Augen geführt wird ist doch letztlich der Grund, weshalb das Fass irgendwann zum Überlaufen kommt. Die einzigen Argumente, die eine Gesellschaft überhaupt noch ernst und wahr nimmt sind nun einmal fliegende Steine. Parteiengeplänkel, Protestbriefe, Boykottaufrufe, Mitgliedschaft bei Greenpeace sind nicht im geringsten ein probates Mittel, um sich von seiner ungläubigen Wut im Angesicht dieser Welt zu befreien. Denn in dieser Gesellschaft fühlt man sich ja genau deswegen so unterdrückt, weil es einem erscheint, als könne man auf legalem Wege sowieso nie etwas an den bestehenden Zuständen ändern – schlimmer noch, man muss sich als Spinner und Phantast demütigen lassen.
Genau diese nicht zu ertragende Mischung aus Frustration, Ohnmacht und Demütigung, die ganz konkret mit der globalen Perspektive der so genannten Marktwirtschaft und ihren, sich in alle Lebensbereiche ausbreitenden, Anpassungszwängen verknüpft ist, sorgt doch dafür, dass Menschen Steine in die Hand nehmen.
Das sich davon der Lauf der Dinge auch nicht beeinflussen lässt, haben diverse Erruptionen von Gewalt häufiger bewiesen als uns lieb ist. Nichtsdestotrotz kann Handeln ja nicht immer nur an seinem voraussichtlichen Ergebnis und seinen wahrscheinlichen Folgen gemessen werden. Insofern bleibt zu hoffen, dass zumindest die verblödeten Entscheidungsträger, Pädagogen und Medienschwätzer begreifen, dass der all zu oft belächelte autonome Widerstand langsam keine Randgruppenerscheinung mehr ist, sondern dank der Verwertungsgesellschaft und der daraus resultierenden Wertlosigkeit von Menschen immer mehr zum Credo unserer globalisierten Generation wird.